Von Susann Kubicek aus dem Buch Agilität und Bildung (CC BY-SA 4.0)
Wie arbeitet man im echten Leben mit anderen zusammen? Indem einer, in der Rolle des Moderators, Fragen stellt (auf die er die Antworten schon weiß), sich die anderen reaktiv melden, vom Moderator drangenommen werden und die Fragen schließlich beantworten?
Diese Form des frontalen Unterrichtsgesprächs ist leider reale Praxis in unseren Schulen, findet sich in leicht modifizierter Form häufig an Universitäten und tatsächlich auch in einigen Bereichen der beruflichen Weiterbildungspraxis. Diese Methode mag durchaus hier und da ihre Berechtigung haben, aber je älter die Schüler:innen aber sind, desto störender empfinde ich die Nachteile. Am liebsten wäre es mir daher, wenn ich niemanden aufrufen müsste, wenn die Schüler:innen aktiv zum Unterricht beitragen würden, indem sie ohne Aufforderung sprechen, und ihre Gedanken und Ideen aufeinander achtend und gegenseitig wertschätzend äußern würden.
Grundlagen der Harkness Methode
Als ich mit einer Schülergruppe im Rahmen eines internationalen Leadership Programms in Asien war, kam ich mit einer amerikanischen Kollegin auf eben dieses Problem zu sprechen. Sie machte mich auf die mir bis dato unbekannte Harkness Methode, die in den USA wohl sehr populär sei, aufmerksam.
Sie würde die Schüler:innen dazu bringen, sich selbstständig am Unterrichtsgeschehen zu beteiligen:
Die Harkness Methode beruht auf einem verblüffend einfachen Prinzip: kollaboratives Problemlösen (KPL) und Lernen. Sie hebt sich dahingehend vom klassischen KPL ab, indem mittels konkreter Vorgaben und Instruktionen hinsichtlich des Umgangs zwischen den Schüler:innen ein klarer Fokus auf das schulische Setting gelegt wird und den zu bearbeitenden Hausaufgaben eine Schlüsselrolle zugewiesen wird.
“Die Lernenden bewegen sich weg von ihrer Rolle als Konsumenten und werden zu Agenten.“
Die traditionelle Beziehung zwischen Schüler:innen und Lehrer:innen im Klassenzimmer wird aufgebrochen, um die Verantwortung für das Lernen in die Hand der Lernenden zu legen. Dies wiederum führt dazu, dass die Schüler:innen selbstständig denken, selbst Fehler machen und durch eben diesen Prozess das Lernen stattfindet. Anstatt die Lehrkraft als Quelle allen verfügbaren Wissens in einem bestimmten Fach anzusehen, lernen die Schüler:innen, die Probleme, mit denen sie konfrontiert werden – in Kollaboration mit ihren Klassenkameraden – durch Teamwork zu lösen. Die Lernenden bewegen sich weg von ihrer Rolle als Konsumenten und werden zu Agenten.
Harkness macht dazu ganz spezielle Vorgaben: 12 Schüler:innen und eine Lehrkraft sitzen an einem ovalen Tisch und diskutieren zu einem vorgegebenen Thema. Dabei wird von den Schüler:innen erwartet, dass sie vorbereitet zu jeder Stunde erscheinen und ihre Hausaufgaben und Materialien dabei haben, um zielgerichtet und aktiv am Unterricht teilnehmen zu können. Die Redebeiträge der Schüler:innen werden aneinander gerichtet, nicht an die Lehrkraft. Schüler:innen schauen nicht ständig in der Hoffnung auf Bestätigung zu ihrer Lehrkraft.

In einem optimalen Setting spricht die Lehrkraft nur selten. Die Schüler:innen kommen mit Fragen oder Erkenntnissen zum Unterricht und beginnen von selbst eine Diskussion. Die Lehrkraft greift nur dann in das Unterrichtsgeschehen ein, wenn das Gespräch vom Thema abkommt bzw. wenn zusätzliche Informationen zum Gelingen der Diskussion benötigt werden.
Umsetzung im eigenen Unterricht
Zu einer erfolgreichen Implementierung gehört, dass die Schüler:innen zunächst langsam an die neue Art des Unterrichtens herangeführt werden. Dies bedeutet, sie müssen ausreichend, der Lerngruppe angepasst, Zeit bekommen, mit der neuen Form des Unterrichts vertraut zu werden und diese erlernen. Sie müssen zusätzlich ein Regelwerk an die Hand bekommen, in dessen Rahmen sie sich bewegen können, bis der Unterrichtsablauf automatisch geschieht.
“Für die SuS bedeutet das, nicht nur mit alten Gewohnheiten zu brechen, sondern auch Mut zu beweisen.“
Alle Schüler:innen müssen verstehen , dass sie die Verantwortung für das erfolgreiche Gelingen einer Unterrichtsstunde übernehmen. Dies geschieht, indem sie
- den anderen aktiv zuhören,
- die Balance zwischen den Unterrichtsteilnehmern respektieren,
- auf einen sich entwickelnden Gedanken aufbauen,
- eine Verbindung zwischen Ideen, Gedanken und größeren Sachverhalten bzw. Aspekten herstellen,
- Monologe vermeiden,
- direkte Fragen stellen, die die Diskussion voranbringen und
- darauf achten, dass nicht ein oder zwei Schüler:innen die Diskussion dominieren.
Da die Schüler:innen die gesamte Diskussion und damit Unterrichtsstunde selbst tragen, werden an sie hohe Erwartungen gestellt. Um eine ertragreiche Diskussion aufrechtzuerhalten, müssen sie lernen, wie sie richtig mit den anderen interagieren. Dies gelingt, indem sie
- die Aussage einer Mitschülerin oder eines Mitschülers bekräftigen
- höflich die Aussage eines anderen in Frage stellen
- eine Frage stellen oder um eine Erklärung bitten
- auf eine Aussage, die früher gemacht wurde, zurückkommen
- als Beweis der eigenen Aussage, als Herausforderung für die Lerngruppe oder als Frage aus einem Text zitieren.

Zum Weiterlesen
Lies in Agilität und Bildung mehr über die Umsetzung dieser Methode in der Praxis. Und erfahre außerdem, welche Herausforderungen entstehen und ob das deutsche Schulsystem gute Voraussetzungen für diese Methode mitbringt.
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